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Ein hoher Preis

Schon zur Premiere von Byambasuren Davaas Adern der Welt bin ich mir sicher, dass dieser Film einer meiner Favoriten des diesjährigen Kplus-Programms sein und bleiben wird. Vielleicht liegt das an den vielen Tränen, die ich mir während des Abspanns von den Wangen wische, die dadurch aber nur umso stärker zu fallen scheinen. Wenige Minuten vor Beginn des Films wird mir versichert: das ist ein richtig schöner Film. Schön? Ja, irgendwie schon. Dass er aber so schön ist, weil er gleichzeitig so todtraurig ist, damit habe ich nicht wirklich gerechnet.

Der Junge Amra und seine Familie sind Nomaden. Von Jahreszeit zu Jahreszeit ziehen sie an unterschiedliche Orte, kehren aber immer an die gleichen Orte zurück, je nach Saison. Ihre Lebensweise ist jedoch bedroht: immer mehr Goldminen werden eröffnet und die Nomaden von ihren Ländereien verdrängt, um die Bodenschätze freizulegen, nach denen die westliche Gesellschaft giert, während die Nomaden den gesamten restlichen Boden ehren. Trotz Nomadenleben sind die Kinder ans Internet angebunden, Amra selbst möchte nichts lieber als bei Mongolia’s Got Talent teilzunehmen. Als er ein altes mongolisches Volkslied für seinen Vater singt, wird klar: er hat eindeutig das Zeug dafür. Während seine Eltern sich mit den anderen Nomadenfamilien treffen und darüber beraten, wie sie an ihrem Land festhalten können, das von Generation zu Generation weitervererbt wurde, und Amra auf eine Rückmeldung von Mongolia’s Got Talent wartet, ereilt ein schwerer Schicksalsschlag die Familie, der alles verändert und uns Zuschauern die schreckliche Realität noch deutlicher vor Augen führt.

Adern der Welt überzeugt nicht durch schnellen Schnitt, viel Action oder lange Dialoge. Vielmehr bezaubert dieser Film durch seine Bilder. Durch ruhige Landschaftsaufnahmen, die Schönheit Mongoliens, die immer wieder durchbrochen ist von riesigen Maschinen und großen Minen - unschöne Flecke inmitten der noch unberührten Landschaft, die sich durch unsere Goldgier immer weiter vergrößern.
Viele Themen werden aufgegriffen und gehören doch alle zusammen: Ungerechtigkeit gegenüber indigenen Völkern, Verdrängung, Kinderarbeit, Familienkrisen, Verlust. Und wieder sind es wir, die Angehörigen der westlichen Welt, die dafür verantwortlich sind, auch wenn wir es uns meistens nicht bewusst sind. Denn auf Gold stützt sich bei uns alles. Unser Geld, die Banken, nicht nur der offensichtliche Schmuck, sondern die Kleinteile in technischen Geräten wie unseren Smartphones oder Laptops. Es ist so versteckt, dass wir uns unserer Schuld nicht bewusst sind, aber so allgegenwärtig, dass wir anderen Menschen Leid antun, über die wir uns unser gesamtes Leben noch keine Gedanken gemacht haben.

Diesen Menschen wird in Adern der Welt endlich eine Stimme gegeben. Die Handlung scheint so klischee zu sein - der große Traum eines kleinen Jungen, bei einer Talentshow mitzumachen, wobei alles andere nebensächlich scheint, bis ein großes Unglück geschieht. Doch vielleicht braucht es genau dieser Klischees, um in unseren Köpfen anzukommen.
Der Gesang und die traditionell inspirierte Musik machen mir die Dringlichkeit der Situation unangenehm bewusst. Es ist die Friedlichkeit, die Schönheit der traditionellen Lebensweise, die durch die Musik und Bilder transportiert wird und so im Kontrast zu allem steht, das wir kennen - und allem, welches wir in die wenigen Länder einführen, die wenigstens noch versuchen, im Einklang mit der Natur zu leben. Sowohl der Schaden, den wir unserer Erde antun, als auch das Unrecht an unseren Mitmenschen wird eingefangen und es ist ein schwer zu ertragender Anblick.

Ein aufrüttelnder Film, der durch seine schönen Bilder und die Musik in den Bann zieht, der eine Verbindung zu einer Familie in Not schafft und uns Zuschauer*innen die verstörende Wahrheit vor Augen führt: in unserer Gier öffnen wir die Adern der Welt und wenn wir uns nicht um ihre Wunden kümmern wird sie bald vor unseren Augen sterben, als hätten wir nie etwas davon geahnt.
06.03.2020, Johanna Gosten

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