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Menschsein

Zwei Jahre ist die letzte Berlinale nun für mich her und während der Potsdamer Platz schon von Journalisten und anderen Akkreditierten wimmelt, beginnt mein Herz vor lauter Vorfreude zu rasen. Die ganzen letzten Wochen waren einerseits mit Prüfungsstress und Lernerei gefüllt, andererseits mit sämtlichen Vorbereitungen, wie wir sie immer für unser Lieblingsfilmfestival treffen: Teambesprechungen, Bekanntmachung mit der neuen Pressekoordinatorin Bernadette, die wir schon bei der ersten Email ins Herz schließen, Anmeldungen für die Akkreditierungen, Ticketbestellungen für unsere Nichtakkreditierten und dieses Jahr insbesondere: Vorbereitungen und Workshops für unsere Neuzugänge. Insgesamt sind es vier neue Gesichter, die uns dieses Jahr tatkräftig unterstützen werden, alle zwischen 13 und 14 Jahren alt. Der Teamgeist ist bunt, teilweise chaotisch, aber dennoch irgendwie harmonisch und trotz all unserer Unterschiede untereinander wollen wir alle nur eines: dass die Berlinale endlich losgeht.

Einiges hat sich unter der neuen Festivalsleitung Mariette Rissenbeek und Carlo Chatrian getan, doch für mich ist es teilweise schwierig nachzuvollziehen, was nur für mich neu ist, weil ich die letzte Berlinale verpasst habe, und was erst dieses Jahr dazugekommen ist. Eins aber steht fest: das Festival ist ein riesiges dynamisches Ungetüm, das sich schneller wandelt als man Fluffy sagen kann. Was allerdings ebenso klar ist: wir würden diesem liebenswürdigen Wesen einfach alles verzeihen, selbst wenn uns eine Neuerung mal nicht so in den Kram passt. Denn letztendlich besteht die Berlinale aus einem riesigen Haufen filmbegeisterter und toller Menschen, die für zehn lange Tage das Unmögliche möglich machen. Sie bewerkstelligen, dass sich ein Zauber über die Innenstadt unserer chaotischen Metropole legt. Dass Stars und Sternschnuppen ihren Weg nach Berlin finden und der sonst so gelassenen jogginghosentragenden Stadt einen Hauch Glamour verpassen. Dass die Welt für einen Moment stillsteht und die Werke von Künstlern aus aller Welt gewürdigt werden.

Denn am Ende geht es doch gar nicht um die Gewinner*innen dieses Festivals - nicht wirklich. Es geht darum, dass wir alle zusammenkommen und den Film selbst feiern. Über unseren Tellerrand hinausblicken und, sei es auch nur für einen Moment, einen Einblick in andere Welten erhaschen. In das Leben eines Kindes auf der anderen Seite der Erde oder den Alltag einer Parallelwelt nur zwei Straßen weiter, der man nie Beachtung schenkt, weil man in seiner eigenen Blase steckt. Es geht um die Menschheit. Um das Menschsein und alles, was dazugehört, das Gute wie das Schlechte.
Darauf freue ich mich am meisten. Aufs Mensch sein. Die Grenzen zu spüren, die man als Mensch hat und die deutlich werden, wenn man eine Woche nicht schläft, das Essen vergisst, kaum die Sonne sieht und sich von einer Welt in die andere begibt.

Umgeben von Tausenden anderen, die auch einfach nur Mensch sind. Von Träumerinnen und Träumern, die sich ausmalen, wie die Welt sein kann, trotz allem, was in ihr geschieht. Und die dennoch nie den Bezug zur Realität verlieren und sich ihrer eher noch schmerzlicher denn je bewusst sind, weil sie schamlos in jedem Film gezeigt wird. Ungefiltert und roh.

Als Berlinalekind bin ich unglaublich dankbar für den schonungslosen Blick auf diese Welt, mit dem ich aufgewachsen bin, obwohl ich sämtliche Privilegien genossen habe, die man als hellhäutiges Mädchen in unserer Gesellschaft nur haben kann. Dieses Festival hat mich geprägt und mir beigebracht, was es bedeutet, ein Mensch zu sein. Und endlich ist es wieder so weit.

19.02.2020, Johanna Gosten

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