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Schau mir in die Augen, Kleines!

Eine Kritik oder vielleicht auch eher eine Reportage zu Kurzfilme 1 14+

7 verschiedene Einblicke, 7 verschiedene Welten, Menschen, Charaktere und – 7 ganz verschieden Erzählweisen. In „Clebs“ gibt mir die Kamera einen Rahmen, in dem ich das Geschehen in einer Auffangstation für Hunde verfolge, im Bild still zeigt sie mir den Alltag der Tiere. „Panteres“ bleibt bei den beiden Protagonistinnen und fokussiert sich auf deren Erscheinung und Körper, nur ein Smartphone schafft es die Verbindung zwischen Zuschauer und Geschichte zu stören. „Grevilla“ zeigt mir in vielen Schnitten die verschiedensten Bilder, nicht nur von Gesichtsausdrücken, sondern auch von einer Kippah, Händen, Tattoos, sie wirken inszeniert. In „Black Sheep Boy“ ist die Erzählweise sehr extrem – in 2D animiert hält einen das Bild an sich auf Distanz. In „The Flame“ schwenkt die Kamera umher, zeigt erst die Umgebung, Natur und dann Kinder, Familien, Gesichter und lässt mich so Erzähltes mit Bildern vom Zuhause der Erzählenden verknüpfen. „Babylebbe“ lässt mich ganz nah an den Gesichtern, der Geschichte und den Gefühlen dran sein, die Kamera bleibt sehr eng. „Något att minnas“ erzählt mit starrem Bild.

So wie immer bin ich nach der Kurzfilmrolle kurz erschlagen von ihrer Vielfalt, doch das ist ja das tolle an den Shorts, mensch wird mitgenommen in so viele Welten und kriegt auf einmal so viele Eindrücke. Und das ist auch ein bisschen überfordernd, vor allem, wenn ich danach dazu eine Kritik schreiben will. Möchte ich über jeden der Filme meine Meinung schreiben und eine kurze Interpretation geben, gibt das einen sinnvollen Artikel? Wie fand ich die Filme, was haben sie mit mir gemacht? Ja, darum geht es doch, die Gefühle, die sie in mir auslösen. Ich überlege, welche der Filme der Reihe mich am meisten berührt haben und sofort merke ich, dass natürlich Schauspiel und Inhalt, die Charaktere und Text eine super große Rolle spielen. Und doch aber auch, klar – die Kamera. „Babylebbe“ geht mir nah vor allem und „Panteres“, auch „The Flame“ gefällt mir. Alles Kurzfilme, bei denen das Bild sehr nah an Gesichtern und dem Geschehen bleibt. Bei denen es vielleicht auch Kleineres an Inhalt oder Spiel auszusetzen gibt und trotzdem – ich fühle mit, schon allein dadurch, dass ich so doll gezwungen werde, den Charakteren in die Augen zu sehen. Mit „Grevilla“ und „Något att minnas“ kann ich wenig anfangen, die künstlerischen Schnitte in ersterem Film und fehlendes im Fokus behalten der Charaktere hindern mich persönlich daran, ein Gefühl zum Protagonisten aufzubauen. Und fehlende Emotionen in den Gesichtern von Tierpuppen machen es mir auch nicht leicht zu verstehen. Dafür schafft „Black Sheep Boy“ es genau durch seine Skurrilität und die Differenz zwischen flacher Erzählweise und gleichzeitig super tiefen moralischen Dialogen („I hate the night, so I’m turning all the sunflowers to try to bring back the day.“) irgendetwas in mir zu bewegen.

Long story short – natürlich ist die Kamera ausschlaggebend, es geht hier ja um Film! Und trotzdem bin ich mir dessen nochmal richtig bewusst geworden, oft liegt mein Fokus ja doch auf dem Inhalt, dem was und nicht dem wie. Und ich glaube, mich holt Film, der sehr nah an den Menschen und ihren Gesichtern ist am wahrscheinlichsten ab, wahrscheinlicher sogar als bei der Darstellung einer starken Landschaft oder einer ästhetischen Szenerie.
Wie ist das bei dir?

Bildquelle: https://www.berlinale.de/de/programm/programm/detail.html?film_id=202009531&openedFromSearch=true#gallery_gallery-filmstills-1
26/02/2020, Carlotta

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