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Mord; Völkermord
 - Hass in Deutschland und Ruanda



Mord ist spannend, Mord fasziniert, Mord begeistert.
In Martin Scorseses Mafia-Filmen warten wir gebannt auf das nächste brutale Verbrechen, bei Quentin Tarantino lachen wir herzhaft über blutige Orgien der Gewalt. Makaber gesagt: Von Mord können wir nicht genug kriegen.
 Dabei fürchten wir uns doch so sehr vor dem Tod. Oder ist unser ungebändigte Voyerismus in einem tiefenpsychologisch erklärbaren Abwehrmechanismus begründet?

Ruanda 1994. Innerhalb von sechs Wochen werden über 800.000 Menschen ermordet.
Riesige Massengräber, Mahnmahle aus Totenköpfen. Die Bilder sind grausam.
Ich darf sie abschalten, das ruandische Volk wird das nie können.

Bei den Terroranschlägen im hessischen Hanau am Mittwoch kamen neun Menschen ums Leben.
„Neun, das sind doch keine 800.000“, mag jetzt manch einer denken. Doch geht es hier nicht um die Zahlen, es geht um das Motiv.

Das Motiv war Hass, Hass vor dem vermeintlich Fremden.
 Hass wird geschürt und hat viele Ursachen.
Immer wieder wird dieses schreckliche Potenzial des Menschen als Mittel zum Erreichen politischer Ziele genutzt.

Aber wie die Absichten auch sein mögen, Hass spitzt sich doch immer wieder in der selben unerklärlichen Grausamkeit des Tötens zu.

Mein persönlicher Bezug:

Ich bin ein Kind des Wohlstands, Krieg und Zerstörung kenne ich nur aus den Medien von zusammengeschnittenen Aufnahmen aus fernen Ländern. 
Ich bin aber auch ein Deutscher. Und als Deutscher kommen mir bei Taten des Hasses und der Fremdenfeindlichkeit oder bei hetzerischen Parolen populistischer Politiker immer wieder die selben Bilder in den Kopf. Bilder von Aufmärschen und Reden der Nationalsozialisten, Bilder von ausgehungerten Menschen, zusammengepfercht in riesigen Konzentrationslagern.
Diese Assoziationen sind Teil meines Bewusstseins, sie sind Teil meiner Identität. Dabei bin ich doch eigentlich gar kein Weißer, oder?
Doch, ich bin Weißer! Ich bin aber auch Schwarzer und Deutscher oder bin ich nicht eigentlich nur Berliner?
Am wohlsten fühle ich mich, wenn ich mich als Menschen sehe und als solcher verstanden werde.
Warum wollen das so Viele immer noch nicht begreifen?

Der Genozid an den europäischen Juden ist 75 Jahre her, der Völkermord an den Tutsi und den moderaten Hutu liegt 26 Jahre zurück.

Wie beschreibt und identifiziert sich das Volk Ruandas wohl?

Die filmische Aufarbeitung:

Ich beschäftige mich gerade mit dem Begriff des Kriegsfilms und frage mich dahingehend, in welcher Form man kollektives Leid darstellen sollte. „Hotel Ruanda“ und vor allem „Schindlers Liste“ sind großartige Filme, aber auch sie erzählen die Geschichten populärer Heldenfiguren.
 Ich hoffe, dass es in Zukunft noch mehr Filme geben wird, die sich den für die Öffentlichkeit vermeintlich unbedeutenden, einfachen Seelen aber nicht weniger wichtigen Geschichten widmen.

Waren früher tatsächlich alle Deutsche überzeugte Nazis?

Waren wirklich alle Hutu wahnsinnige Unmenschen?


Wir Deutschen haben unsere Vergangenheit vielfach filmisch aufgearbeitet.
Der deutsche Historienfilm leidet aber oft an einer belehrenden Erzählweise und einer optisch wie dramaturgisch glatten Inszenierung.
Was fehlt, ist der Anspruch oder auch die künstlerische Kapazität, das schreckliche oder aber auch unerklärlich humane Handeln der Menschen universell erfahrbar zu machen und übergeordnete Themen zu erzählen. Denn Hass aber auch Widerstand gibt es überall.

Kein Wunder, dass das zuletzt keinem Deutschen, sondern dem US-Amerikaner Terrence Malick gelungen ist.
In „A Hidden Life“ erzählt er die Geschichte eines NS-Kriegsverweigerers ohne den Krieg als solchen explizit in den Vordergrund zu stellen. Vielmehr geht es um Liebe, Glauben und die besonders heutzutage an vielen Orten und in vielen Köpfen seltener werdende Fähigkeit, nein zu sagen.
 Die auf wahren Ereignissen beruhende Geschichte dieses Kino-Meisterwerkes macht das alles auch möglich.
Warum werden solche Geschichten dann nicht häufiger erzählt?

Sprung nach Afrika:

Das scheinbar zentrale Thema der fiktiven Netflix-Serie „Black Earth Rising“ ist der Genozid in Ruanda, doch wird auch dieser nicht als visuell exhibitionistisches Spannungselement aufgebaut, sondern geschickt in Form von nachdenklich stimmenden Zeichentrickanimationen dargestellt. Die Serie widmet sich persönlichen Einzelschicksalen und verwebt diese mit politischen Hintergründen.
Sie versucht also nicht um jeden Preis den Genozid objektiv zu erklären und nachzuerzählen.
Zudem thematisiert sie die westliche Wahrnehmung und Darstellung Afrikas. Auch durch diese zusätzliche Ebene wird die Serie inhaltlich durchaus angreifbar, doch ist »Black Earth Rising« für mich in erster Linie ein beeindruckendes Beispiel für einen unkonventionellen filmischen Umgang mit dem Thema Völkermord, insbesondere in Bezug auf inhaltliche wie dramaturgische Klischees und Fallen.




„Notre-Dame Du Nil“ aus der diesjährigen Generation 14plus setzt nicht während oder nach dem Genozid in Ruanda an, sondern mehr als zwei Jahrzehnte davor und versucht, uns die Entstehungsgeschichte des Völkermordes näher zu bringen. Dieser leider immer noch viel zu selten vorkommende Ansatz reizt mich.




Ich hätte den Genozid in Ruanda auch einfach nacherzählen können, schließlich sollte das hier eigentlich ein klassischer Hintergrundartikel werden. Doch bin ich der Meinung, dem schweren Thema auf diesem Wege gerechter werden zu können.

Bildquelle: © Sophie Davin/Les Films du Tambour, Chapter 2
21. Februar 2020, Vincent Edusei

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