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Intimität im Umgang mit dem Tod

Wie geht man damit um, wenn die kleine Schwester stirbt? Wenn sie dich nicht mehr nachts weckt, weil ihr kalt ist? Wenn sie von jetzt auf gleich nicht mehr da ist? Einfach weg.

Eben diese schwierige Situation beleuchtet Mamá, Mamá, Mamá. Erwachsene sind in dem Film mit Absicht außen vor, die Mutter tritt erst nach einiger Zeit zum ersten Mal in Erscheinung. Ihre Trauer findet weitestgehend hinter verschlossenen Türen statt. Cleo indes wird intensiv verfolgt. Die Kamera beobachtet sie, wie sie zwischen ihren Cousinen sitzt und das Leben weitergeht. Sie jedoch ist in sich gekehrt und braucht ihre Zeit.
Künstlerische Szenen, in denen der Pool als Ort des Unglücks ergründet wird, deuten den Tod ihrer Schwester nur an. Nie wird es explizit erwähnt.


Zu Beginn sind die Szenen bruchstückhaft. Es dauert ein wenig, sich ein Bild zu machen. Doch ist dies stimmig. Prozesse der Trauer sind nicht linear, sie kommen in Schüben, überspringen manche Geschehnisse einfach und brechen später noch schlimmer über einem/r zusammen.
Die kaum vorhandene und sonst minimalistische Filmmusik in Form von hohen Tönen, die langsam hintereinander auf dem Klavier angeschlagen werden, gibt der Trauer ihren Raum. Umgebungsgeräusche werden indes umso spürbarer: ob das Rauschen des Windes oder das Rascheln der Blätter in den Büschen. Wir befinden uns unglaublich nah an den Charakteren.

Am effektivsten ist häufig doch die Stille, um der traurigen Gewissheit Raum zur Entwicklung zu geben. Sie sinkt in die Zuschauer*innen und bleibt unterschwellig die ganze Zeit vorhanden.
Die unschuldigen Versuche ihrer Cousinen, Cleo aufzumuntern, sind berührend. Einfache Sätze, die sorglos beim Spielen ausgerufen werden, wie beispielsweise „Ich bring dich um“, erfahren jedoch plötzlich eine ganz andere Bedeutung, lassen dieses Unwohlsein wieder hervortreten. Die Intensität dieses Gefühls wird je nach Zuschauer*in unterschiedlich ausfallen. Manche werden es kaum wahrnehmen, andere wiederum davon erdrückt. Herzzerreißende Szenen der Verzweiflung der Mutter, sowie die Hilflosigkeit ihrer Schwester, die nichts anderes tun kann, als für ihre Schwester da zu sein, werden aus den Augen der Kinder - beobachtend, ruhig, ohne jegliche Form von Urteil - dargestellt. Doch gleichzeitig sorgt der Film durch komische Szenen wie das erste Austesten vom Küssen an einer Tomate für einen unglaublichen Charme.

Sol Berruezo Pichon-Rivière schafft mit ihrem ausschließlich weiblichen Team eine Intimität, in der sowohl die erste Menstruation aber eben auch die Trauer offen thematisiert werden können. Sie nimmt sich alle Zeit, die sie braucht, um ihre Charaktere zu ergründen. Gleichzeitig bleibt genug Raum, sich an einigen künstlerischen Elementen, die den Tod auf eine andere Ebene heben, auszuprobieren. Diese Intimität überträgt sich auch auf das Publikum. Berührt verfolgen wir den langen Weg des Heilens, der gerade erst beginnt. Doch wird deutlich, dass es immer besser wird. Dass es Hoffnung gibt. Und dass nicht alles nur furchtbar ist.

Bedrückend und doch zugleich auch leichtfüßig betrachtet Mamá, Mamá, Mamá den Umgang mit dem Tod, so wie ich es selten erlebt habe. Durch die unterschwellige Darstellungsweise ist es sehr stark von den Zuschauer*innen selbst abhängig, wie tief sie sich in die eigentliche Dramatik der Situation begeben und zeugt maßgeblich von den eigenen Erfahrungen im Umgang mit Trauer. So kann der Film sehr harmlos sein und vorrangig seine schönen berührenden und lustigen Momente zeigen, oder eben die vielen Facetten im Umgang mit dem Tod vergegenwärtigen. Alles in allem ein sehr stimmiges und intimes Werk, was sicherlich einen großen Ursprung darin hat, wie frauendominiert dieser Film entstanden ist.

Weitere Screenings von Mamá, Mamá, Mamá:

So, 23.02. 15:30 Uhr Filmtheater am Friedrichshain
Do, 27.02. 13:00 Uhr Urania
Fr, 28.02. 10:00 Uhr Zoo Palast 2

Samstag, 22.02.2020, Sarah Gosten

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