Direkt zum Hauptbereich

Eine erste zarte Rebellion

„Woher weißt du, dass Gott existiert?“
Eine Kritik zu Las Niñas

Wir befinden uns im Spanien der 1990er-Jahre. Auf einer katholischen Mädchenschule findet sich Celia an der Schwelle zum Teenagerleben. Langsam kommen sie und ihre Freundinnen in ersten Kontakt mit Alkohol und Parties, hören sich zusammen Musik an, rauchen verschwörerisch ihre erste Zigarette und lassen sich Tipps von Teenie-Zeitschriften geben. Das ganze ist jedoch sehr liebevoll und sanft gelöst. Es sind die ersten Erfahrungen einer Zwölfjährigen.
Insbesondere die langsam erblühende Freundschaft mit Brisa, der Neuen, prägt Celia. Sie haben viele Gemeinsamkeiten, zugleich nimmt das aus Barcelona stammende Mädchen einige Dinge weniger wichtig, als Celia es gewöhnt ist, und kann sich mit dem starken Katholizismus sichtlich nicht identifizieren. Dies rüttelt Celia auf. Sie beginnt Gegebenheiten zu hinterfragen, die sie bis dahin als selbstverständlich wahrgenommen hat. Eine erste zarte Rebellion beginnt. Zuhause stellt sich die sonst sehr innige Beziehung zu ihrer alleinerziehenden Mutter als immer schwieriger dar. Celia beginnt zusehends, Information über den Hintergrund ihrer Familie stärker einzufordern und in der Schule keine zufriedenstellenden Leistungen mehr zu erbringen.

Getragen wird Las Niñas von der außergewöhnlich eindrücklichen Protagonistin. Die Kamera gibt ihr Raum, sich zu entfalten, verfolgt sie mit besonderer Nähe. Durch das 4:3 Format, das heutzutage doch eher selten angewandt wird, steht ihr Gesicht im besonderen Fokus. Viele Szenen beleuchten daher insbesondere ihre Regungen; ihr Erleben der Situation. Die Farben des Films verdeutlichen die Atmosphäre eines vergangenen Jahrzehnts. Während das Licht warm ist, sind die Farben schlicht gehalten. Die Schuluniform der Mädchen, die Roben der Nonnen: alles in weiß, grau, einem seichten Blau. Sanft. Auch in der musikalischen Untermalung spiegelt sich dies wider. Mit Ausnahme der Kassettenaufnahmen dieser Zeit gibt es nämlich kaum Musik.
Neben den Fragen des Heranwachsens in einer so streng katholischen Erziehung und dem ersten Aufbegehren, fängt Las Niñas insbesondere die Beziehung zwischen Mutter und Tochter ein. Verurteilt von der Außenwelt, die geprägt ist von den gesellschaftlichen Ansichten der 1990er Jahre, wird Celia immer mehr auf die Ungerechtigkeiten der Gesellschaft aufmerksam. Unterschwellig werden die konservativen Ansichten verstärkt. So zeigen TV-Shows Frauen eher als hübsche Begleitung. Auch die Sprachchöre, die die Mädchen während ihrer Spiele singen, stellen allesamt ein sehr eingeschränktes Frauenbild dar. Die Tests der Zeitschriften zeugen ohnehin von dem Bild der Frau als „Gefallen“ für den Mann. Im Sexualkundeunterricht wird den Mädchen verdeutlicht, Gott hätte sie nur geschaffen, damit die Männer nicht alleine seien.

Eine junge alleinerziehende Mutter hat es im Spanien der 1990er Jahre demnach nicht leicht. Von dem Rest der Familie verstoßen, wird auch über Celia in der Schule geurteilt. Sie muss sich anhören, ihre Mutter sei eine Schlampe, da sie Celia unehelich bekommen hätte. Ihre Mutter möchte Celia ein besseres Leben ermöglichen, leidet aber darunter, dass ihre Tochter diese Chancen nicht so wahrnimmt. Dies führt zu immer größeren Spannungen. Doch ist klar, dass sie sich innig lieben. Sie müssen sich lediglich erst voneinander entfernen, um zu lernen, wie sie sich unter den äußerlichen Einflüssen einen neuen Weg in ihrer Beziehung bahnen können.

Alles in allem schafft Pilar Palomero mit Las Niñas einen ruhigen, beobachtenden und sehr stimmigen Film. Gerade als Mädchen kann ich mich mit Celia sehr gut identifizieren.
Die Regisseurin spannt einen Bogen, der am Ende wunderschön aufgelöst wird. Der Film zeigt das erste Erstarken eines Mädchens, das im Laufe seines Lebens noch mehrere dieser Entwicklungsstufen durchlaufen wird und in dieser Handlung den Grundstein dafür legt. Es ist ein frühes zartes Aufbegehren. Fast harmlos mag es erscheinen. Doch es ist der erste Schritt, aus dem sich aus Celia eine emanzipierte Frau entwickelt.

Weitere Screenings von Las Niñas:

Mo, 24.02. 15:30 Uhr Filmtheater am Friedrichshain
Mi, 26.02. 17:00 Uhr Cubix 8
Fr, 28.02. 09:30 Uhr Zoo Palast 1

Sonntag, 23.02.2020, Sarah Gosten

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Insights into the Iranian Judiciary System - A Discussion with Massoud Bakhshi, the director of „Yalda, la nuit du pardon“

During the Berlinale I had the chance to participate in a so-called roundtable with two other journalists. We sat down with the director of „Yalda, la nuit du pardon“ , Massoud Bakhshi, in a small lounge in the press center of the Hyatt. In the film a young woman, Maryam, is sentenced to death because of the murder of her husband. She and the daughter of the murdered man are part of a TV show. If she forgave Maryam, Maryam would be able to live. A dramatic show evolves. While I was a bit nervous at first - having never done anything like that with other „professional“ journalists before - I soon could settle and a really nice and interesting conversation developed. fGR: Forgiveness is one of the major aspects in your film. Can you tell us about this concept in Iran? Massoud Bakhshi: Forgiveness itself is really respected. It is something that every religion values highly. However, in Iran forgiveness actually is part of the judiciary system. It means that if the victim decides to forg...

Sein Glück selber in die Hand nehmen

Eine Kritik zu „H is for Happiness“ Gibt es einen besser passenden Filmtitel für die Generation-Eröffnung als „H is for Happiness“ denke ich mir, während ich voller Vorfreude auf die kommende Woche in der Schlange im noch etwas ungewohnten Kino „An der Urania“ stehe. Ich erwarte eine leichte, fröhliche Familienkomödie, mit der die langersehnte Berlinale-Woche eingeleitet wird. Doch nachdem die letzte Szene in den Abspann übergeht, sitze ich in meinem Kinositz - die Tränen zwar wieder getrocknet, aber völlig überrascht und berührt von einem tiefgründigen, vielschichtigen und dennoch unglaublichen amüsanten Film. „H is for Happiness“ erzählt die Geschichte der zwölfjährigen Candice Chee (Daisy Axon), die mit ihrer Familie in einer westaustralischen Kleinstadt aufwächst. Schnell wird deutlich, dass die Verhältnisse in dem Leben des immerzu fröhlichen, aufgeweckten und forschen Mädchen nicht ganz so farbenfroh und wie die ersten Minuten des Filmes. Seit dem Tod ihrer kleinen Schwester leid...

Ein hoher Preis

Schon zur Premiere von Byambasuren Davaas Adern der Welt bin ich mir sicher, dass dieser Film einer meiner Favoriten des diesjährigen Kplus-Programms sein und bleiben wird. Vielleicht liegt das an den vielen Tränen, die ich mir während des Abspanns von den Wangen wische, die dadurch aber nur umso stärker zu fallen scheinen. Wenige Minuten vor Beginn des Films wird mir versichert: das ist ein richtig schöner Film. Schön? Ja, irgendwie schon. Dass er aber so schön ist, weil er gleichzeitig so todtraurig ist, damit habe ich nicht wirklich gerechnet. Der Junge Amra und seine Familie sind Nomaden. Von Jahreszeit zu Jahreszeit ziehen sie an unterschiedliche Orte, kehren aber immer an die gleichen Orte zurück, je nach Saison. Ihre Lebensweise ist jedoch bedroht: immer mehr Goldminen werden eröffnet und die Nomaden von ihren Ländereien verdrängt, um die Bodenschätze freizulegen, nach denen die westliche Gesellschaft giert, während die Nomaden den gesamten restlichen Boden ehren. Trotz Nomaden...