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„ All Are Equal Before The Law“



Eine Kritik zu Palazzo Di Giustizia

Wir befinden uns in einem Gerichtsgebäude in Italien, zwei Männer sind angeklagt, der eine wegen des Raubüberfalls einer Tankstelle, der zweite, der Besitzer der Tankstelle, weil er einen der zwei Diebe erschießt. Letzterer Fall wird an diesem Tag diskutiert, die betroffenen Männer haben beide ein Gesicht und eine Geschichte und vor allem haben beide Familie. Während die Täter durch ein Gitter im Gerichtssaal voneinander getrennt sind und nur mit Blicken kommunizieren können, so treffen die jeweiligen Töchter, Luce und Domenica, vor dem Saal direkt aufeinander. Luce ist noch sehr jung, ein Kind und ganz frei und frech und naiv und ohne wirkliches Verständnis für den Ernst der Lage. Sie zappelt auf ihrem Sitz, bringt einen Spatzen mit, der ihr ständig entwischt und im ganzen Gebäude gesucht werden muss, spielt in Pfützen, sammelt Glitzer vom Boden auf und überzeugt einen Heizungstechniker, sein Mittagessen mit ihr zu teilen. Und dann ist da die jugendliche Domenica, sie versucht sich um ihren Vater zu kümmern, durchblickt die Lage deutlich mehr und trotzdem, auch sie würde am liebsten die Schwere des Ganzen vergessen und unbeschwert durch das Chaos gehen. Diese beiden Charaktere werden nun also vor dem Gerichtssaal miteinander konfrontiert.

Ein spannender Ausgangspunkt, um sich damit zu beschäftigen, wie komplex Menschen doch sind, wie schwierig die Frage von Gerechtigkeit zu beantworten ist, wie sich Menschen mit Vorurteilen zueinander begegnen und ob sie diese vielleicht überwinden können. Angerissen wird auch die Frage, ab wann ein Mord zu rechtfertigen ist, ob ein Akt aus Angst oder zur Verteidigung zu verzeihen ist.

Die Schauspieler machen ihre Sache, zumindest dem Alter entsprechend, sehr gut und das Setting finde ich unglaublich spannend. Den beiden beim Warten zuzuschauen ist eine tolle Art und Weise, um die Charaktere kennenzulernen, wie sie sich dabei verhalten, mit den Gegebenheiten umgehen, wie sie kommunizieren. Auch spannend ist die Beziehung der beiden zueinander, wie sie sich an einander antasten und wie sich ihr Zugang zueinander verändert. Das Problem nur – meiner Meinung nach: Die Geschichte ist nach sehr kurzer Zeit schon erzählt. Schnell wird klar, in welche Richtung sich das Verhältnis zwischen Luce und Domenica ändert, die Charaktere und Beziehungen sind nicht komplex genug dargestellt, um die Geschichte über 90 Minuten zu tragen, auch entwickelt sich das Ganze vom Plot her kaum weiter, es gibt zwar kleine Ereignisse, aber kaum welche, die den Film wirklich lenken. Inkonsequent wechselt die Erzählperspektive zwischen den Mädchen und dem Geschehen im Gerichtssaal, die Kamera schweift ab und ein „Love interest“ wird eingeführt, der für den Inhalt eigentlich unwesentlich ist. Ich bin mir sicher, die Geschichte hätte ausschließlich außerhalb des Saals erzählt werden können und die beiden starken Mädchen hätten das Geschehen mehr oder weniger allein tragen können, ich glaube, das wäre noch interessanter und weniger plakativ gewesen.

Alles in allem also, meiner Meinung nach, eine sehr starke Idee mit Schauspiel, welches mich doch überzeugt und sehr viel Potenzial für starke Dialoge und eine ordentliche Beleuchtung der Frage „Are we all equal before the law?“ hat. Im Endprodukt sind jedoch Länge des Films und Inhalt nicht stimmig, zu viel wird angerissen, in die Länge gezogen und verliert sich und die Beantwortung der wesentlichen Fragen gerät zu sehr in den Hintergrund.



Bildquelle: https://www.berlinale.de/de/programm/programm/detail.html?film_id=202002452&openedFromSearch=true#gallery_gallery-filmstills-1
25/02/2020, Carlotta

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